Freitag, 7. Oktober 2022

Das Cannstatter Volksfest

Das Cannstatter Volksfestes UND der Cannstatter Wasen

von Stefan Betsch

Die letzten beiden Jahre hieß es immer: Der Wasen fällt aus. Ich kann Euch beruhigen, er ist noch da. Was ausgefallen ist, ist das Cannstatter Volksfest. Das wiederum ist das größte Schaustellerfest der Welt und damit etwas ganz Einzigartiges. Aber der Reihe nach:

Das Cannstatter Volksfest entstand nach einer epischen Hungersnot im Jahr 1816. Es ging als "das Jahr ohne Sommer" in die Geschichtsbücher ein. 360 Tage am Stück gab es nur Regen, keine Sonne und keine Temperatur über 13 Grad. In ganz Europa verhungerten ca. 100.000 Menschen. Diese Naturkatastrophe wurde durch den Ausbruch des Vulkans Tambora in Indonesien verursacht. Er verwüstete Indonesien komplett und forderte ebenfalls um die 100.000 Todesopfer in einer Explosion, die Asche in eine Höhe von 42 Kilometer schleuderte. Diese riesige Aschewolke setzte sich über dem Atlantikraum fest und verursachte auch Ernteausfälle in Nordamerika. 

Das veranlasste König Wilhelm I von Württemberg dazu, die Landbevölkerung davon zu überzeugen, nicht auszuwandern. Er stiftete das, was wir heute als Universität Hohenheim kennen, um den Pflug weiterzuentwickeln. Das Schwäbisch-Hällische Landschwein wurde gezüchtet und Sauerkraut wurde als nahrhafte Winterkost eingeführt. Im Jahr 1818 stiftete er, auch auf Betreiben seiner Frau Katarina, das Landwirtschaftliche Fest zu Cannstatt. Die Landbevölkerung sollte motiviert werden. Auf dem Programm standen Pferderennen, ein Fischerstechen, sowie Schausteller und Gauklerdarbietungen. Darüber hinaus ging es darum, sich über Anbautechniken austauschen zu können. Das heutige Landwirtschaftliche Hauptfest steht also ebenfalls in der Tradition von 1818.

1841 gab es zum 25jährigen Kronjubiläum des Königs den ersten Volksfestumzug. Im Jahr 1857 verhandelte König Wilhelm der I mit Zar Alexander II, Napoleon III sowie anderen Königinnen und Königen auf dem Volksfest beim so genannten Kaisertreffen über die Reduzierung der stehenden Heere. Die Schaustellergeschäfte waren handbetrieben und teilweise aus heutiger Sicht naiv oder gar diskriminierend. 


Heute sind es um die 350 Schaustellergeschäfte, im Vergleich zu ca. 200 auf dem Oktoberfest. Außerdem gibt es auf dem Volksfest angeblich die schöneren Zelte. Also sind wir selbst schuld, wenn wir davon reden, dass unser Fest „nur“ das Zweitgrößte ist oder in bayerisch anmutender Trachtenmode statt in Württemberger Tracht auf das Volksfest gehen. 

Der Cannstatter Wasen wiederum ist heute eine Veranstaltungsfläche ersten Ranges. Einst eine bewässerte Wiese (= Wasen), auch Trommelwiese wegen dem Trommeln der Tropfen auf dem Boden genannt. Spätestens 1865 war er der erste Fußballplatz Deutschlands durch englische Internatsschüler während der Badestadtzeit. Auf ihm hat das Militär exerziert, manövriert und paradiert, einmal nahm sogar der württembergische König dem deutschen Kaiser die Parade ab. Später wurde der Wasen zum ersten Flugplatz der Region Stuttgart mit dem ersten Linienflug Deutschlands. Das erste Fußballstadion Stuttgarts stand auch direkt auf dem Wasen.

Heute finden auf ihm, neben dem Cannstatter Volksfest, das größte Frühlingsfest der Welt, riesige Konzerte von Weltstars, Messen, der Stutengarten oder Sportveranstaltungen statt. Und doch heißt es immer wieder, dass nun Wasenzeit wäre. Der Wasen kann nicht eröffnet werden, enden oder eben ausfallen. Er beginnt nicht Ende September, sondern an der König-Karls-Brücke. Inzwischen kommen Auswärtige und wollen auf „die Was’n“. Da rollen sich bei uns Bad Cannstattern gerne mal die Zehennägel auf. 

Wir feiern das 175. Cannstatter Volksfest auf dem Cannstatter Wasen. Es hat den Menschen schon früher in Notzeiten Zerstreuung und Hoffnung gegeben und genau das kann es heute immer noch. 

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