Montag, 1. Mai 2023

D'r ede vrzählt (8)

Carmen Jud, Hermann Camilli, Lidia Lupo und Ursula Weinberger (von links).


Der Monat Mai meint es gut mit uns. Die Natur zeigt sich farbenfroh, es blüht in bunten Farben, Stimmung und Wohlbefinden steigen. Der Mensch kann auch dazu beitragen, indem er pflanzt, sät und dafür Sorge trägt, dass es gedeiht. Wohl dem, der dafür einen eigenen Garten hat. Das ist nicht jedem vergönnt. Urban Gardening kommt dem Wunsch nach Gärtnern mitten in der Stadt nach. 

Und genau das ist mitten in Bad Cannstatt passiert. Dem Traum vom eigenen Gemüsegarten ist man nämlich im Hinterhof der Begegnungsstätte Brücke in der Wilhelmstraße 39 einen großen Schritt näher gekommen. Nintegra, ein gemeinnütziges Unternehmen für Integration, hat zusammen mit dem Evangelischen Verein Bad Cannstatt, finanziell gefördert von der Aktion Mensch, das Hofprojekt "Gemüsegarten" in die Tat umgesetzt. Dabei werden die Themen wie "barrierefrei gärtnern", "gemeinsam statt einsam" und "Natur hautnah erleben" mit Leben gefüllt. Im zuvor eher nicht einladend wirkenden Hinterhof wächst und gedeiht es jetzt in 20 Hochbeeten und eigentümlichen Behältnissen. 

"Die Natur gemeinschaftlich zu erleben und fröhliche Momente zu genießen - keiner hat zuvor gedacht, dass dies hier im Hof möglich ist", freute sich Claudia Degler bei der Eröffnung des Gemüsegartens. Jetzt gebe es, so die Geschäftsführerin der Evangelischen Gesellschaft, die Möglichkeit, viel Gemüse aus dem eigenen Hofbeet zu ernten, ein "Biosnack aus eigenem Anbau" sozusagen. Für Hermann Camilli von Nintegra, das zum Sozialunternehmen Neue Arbeit gehört, ist es die Erfüllung eines Traums. "Wenn Urban Gardening, dann hier", war der gelernte Landschaftsgärtner überzeugt. Noch mehr Stadtflächen könnten dafür genutzt werden, ein Anfang für eine bessere Zukunft. "Die Idee soll um sich greifen."

Unterstützung bekam Camilli und die Teilnehmenden am Projekt von Heilkräuterpädagogin Lidia Lupo von "Kräutermeute". "Sie hat sich kompetent eingebracht, engagiert und Pläne erstellt." In den gespendeten Hochbeetkisten wachsen jetzt unter anderem Salat, Erdbeeren, Radieschen, Paprika, Tomaten, Gurken, Schnittlauch, Kartoffeln, Knoblauch, Löwenzahn und Ruccola. Carmen Jud, Leiterin der Begegnungsstätte Brücke, hat dazu aufgerufen, Kurioses zum Einpflanzen zur Verfügung zu stellen - mit Erfolg. Ein Koffer, Schuhe, alte Bettpfannen und ein Nähkästchen stehen jetzt bepflanzt im Hinterhof. 



Lob für das Projekt gab es von Bezirksvorsteher Bernd-Marcel Löffler. "Der halbhübsche Hinterhof hat jetzt was. Es wurde die Möglichkeit genutzt, ihm neues Leben einzuhauchen und für gesunde Ernährung zu sorgen." Er dankte auch Hermann Camilli, der immer gute Ideen habe, innovativ und gut vernetzt sei. Damit die Ernte auch gut eingesetzt wird, dafür sorgt Ursula Weinberger, die seit drei Jahren in Bad Cannstatt die Kochschule "Die kreative Küche" in der Kühlbrunnengasse betreibt, die das Projekt ebenfalls unterstützt. 

Es wird regelmäßig Veranstaltungen in der Begegnungsstätte rund um das Thema Gemüsegarten geben und natürlich schauen die Projektteilnehmer regelmäßig nach den Hochbeeten. Schließlich soll alles wachsen und gedeihen. In zwei Pflanz- und Ernteperioden soll viel Wissen über erfolgreichen Gemüseanbau, richtiger Bodendüngung, Bearbeitung und Bewässerung, Anbautechniken und Wissen um Ökosystem vermittelt werden.


Donnerstag, 6. April 2023

D'r ede vrzählt (7) - 's 'Dudelsäckle

's 'Dudelsäckle

Schwäbisch ist die Ursprache an sich", ist sich Sabine Essinger sicher. Sie klingt "fast wia gsonga" und findet sich in Sprachen weltweit wieder. Etwa im Japanischen (Ha was sag i), im Italienischen (Va bene ohne di) oder im Englischen (Sau matsch). Sie muss es wissen, schließlich hat die Kabarettistin vom Regierungspräsidium die Heimatnadel für ihren Einsatz für die schwäbische Mundart erhalten. Die Fachfrau ist unter anderem im Verein Schwäbische Mundart aktiv, beim vom Land unterstützten Projekt "Mundart in der Schule" oder im Kulturverein 's 'Dudelsäckle.

Dieser organisiert die 26. Cannstatter Mundarttage und hat dafür das Programm zusammengestellt - wie immer unter dem Motto "schwäbisch gschwäddsd, gsonga, gspielt ond glacht". Zwischen dem 16. April und dem 17. Juni gibt es zwölf Programmpunkte. "Erstmals beteiligt sind die Begegnungsstätten der Steiggemeinde, des Hauses St. Monika und die Cannstatter Brücke", freut sich Dudelsäckle-Vorstand Peter Hinderer. Den Auftakt bildet am Sonntag, 16. April, um 9.30 Uhr die Schwäbische Kirch' mit Pfarrer Manfred Mergel in der Steigkirche, Auf der Steig 1, zum Thema "Dent gut mitnander". Der Mundartgottesdienst wird gesanglich und musikalisch (mit dem Dudelsack) begleitet von Sabine Essinger. 

Einen Tag später hält der Hofener Ortschronist und Neckarguide Wolfgang Zwinz in der ökumenischen Begegnungsstätte der Steiggemeinde im Matthias-Claudius-Haus, Auf der Steig 23, einen Vortrag über den Max-Eyth-See "Von der Kiesgrube zum beliebten Naherholungsgebiet". Zwinz, immer auf der Suche nach Alleinstellungsmerkmalen, ist der Geschichte des Max-Eyth-Sees nachgegangen und geht auch auf die Lebensgeschichte des cleveren Schwaben Karl Epple nach, der die Kiesgrube zum Stausee und späteren Naherholungsgebiet umwandelte. "Er hat damit viel Kies gemacht", sagt Zwinz augenzwinkernd. Mehr als 100 Bilder aus verschiedenen Archiven, Postkarten und Privatfotos begleiten den knapp einstündigen Vortrag. 

Am Sonntag, 23. April, bietet Sabine Essinger ab 17.45 Uhr im Gasthaus Rössle, Arnoldstraße 3 in Mühlhausen, schwäbisches Kabarett mit ihrem Programm "Fifteen Shades of Fleischles". Sie setzt dabei auch auf Unterstützung des Publikums. "I frei me uff Euch, vor ällem wenn Ihr au ebbes Schwäbisches beitraga dädat, wenn meine Fleischles-Mädle fertig send." 

Am 26. April, stehen um 15 Uhr in der Begegnungsstätte Brücke, Wilhelmstraße 39, Lieder von Bertram Schleicher ("Da ben i dahoim") auf dem Programm. Am Freitag, 5. Mai, covert  Des Duo um 15.15 Uhr im Haus St. Monika, Seeadlerstraße 7, Poptitel ab den 60er Jahren mittels Gesang und Klavier mit heiter bis nachdenklichen schwäbischen Texten. Am  8. Mai präsentiert Friedel Kehrer in der ökumenischen Begegnungsstätte, Auf der Steig 23, "Sacha ond Saechla zom Lacha ond Laechla".

"Wir freuen uns, dass wir Bernd Kohlhepp mit seinem tiefgründigen Humor, der auch aus dem Stehgreif  den Dialog mit dem Publikum aufnimmt, für die Mundarttage gewinnen konnten", sagt Dieter Pahle vom Dudelsäckle. Kohlhepp gastiert mit seinem Programm "Hämmerle kommt" am Freitag, 12. Mai, um 20 Uhr im Haus am See, Mühlhauser Straße 311. Die Weinwanderung "Der Mai ist gekommen, die Rebblüten schlagen aus" mit Raimund Stetter am 13. Mai ist bereits ausgebucht. Lustiges und Nachdenkliches auf Schwäbisch bietet Buddy Bosch am Freitag, 26. Mai, in der nachbar, am Römerkastell 73, um 20 Uhr. 

Bernhard Leibelt liefert am Mittwoch, 31. Mai, um 15 Uhr den reichlich bebilderten Vortrag "Geschichten aus Stuttgarts Geschichte: Stuttgarts Schokoladenseite" in der Begegnungsstätte Brücke. Das Motto dabei: "Eszet, Moser, Ritter - von Vollmilch bis Zartbitter". Am 2. Juni heißt es um 15.15 Uhr im Haus St. Monika  "Weil Liebe eine Rose ist..." Raffael König trägt Schlager der 70er und 80er Jahr vor. Den Abschluss der Mundarttage bildet ein Open-Air-Konzert im Biergarten Neckarblick in Hofen, Wertweg 11, am 17. Juni. Schtraitlsalts sorgen ab 18.30 Uhr für Schwobarock.   

Unterstützt wird 's Dudelsäckle vom Förderverein Schwäbischer Dialekt, dem Verein schwäbische Mundart, dem evangelischen Verein Bad Cannstatt, gefördert werden einzelne Veranstaltungen von den Bezirksbeiräten Bad Cannstatt und Mühlhausen. Bis auf den Auftritt von Bernd Kohlhepp, der 15 Euro Eintritt kostet, sind die anderen Veranstaltungen frei. Bei manchen geht der Künstlerhut um. Alle Termine und Infos dazu sowie Reservierungsmöglichkeiten finden sich unter www.dudelsaeckle.de. Flyer zu den Mundarttagen gibt es an den beteiligten Veranstaltungsorten.

Wolfgang Zwinz, Sabine Essinger, Peter Hinderer und Dieter Pahle (von links) freuen sich auf die Mundarttage.

Mittwoch, 29. März 2023

D'r ede vrzählt (5) - Erich Schmeckenbecher

Erich Schmeckenbecher - der Zugpfeifenhansel

Erich Schmeckenbecher wird am 31. März 70 Jahre alt. Erich wer? wird sich mancher fragen. Besser bekannt ist der gebürtige Cannstatter als eine Hälfte des Duos Zupfgeigenhansel. Zusammen mit Thomas Friz erspielte er sich in den 70er und 80er Jahren über die Landesgrenzen hinaus einen sehr guten Ruf in den Folkszene. Knapp eine Million Tonträger verkaufte das Duo.

Zupfgeigenhansel gilt als Wegbereiter für ein neues Volkslied-Empfinden. Wobei Musikantenstadl und Volkslied nicht viel gemein haben, betont der Cannstatter, der inzwischen in Lorch lebt und für sein Album „Leben ist Poesie“ zum 30-jährigen Bühnenjubiläum den Preis der Deutschen Schallplattenkritik erhielt. Für Schmeckenbecher hat Volkslied überhaupt nichts mit Heimattümelei und Unkritischem zu tun. Mit einem kleinen Buchstabentausch wird aus Volkslied schnell Volksleid. Die Lieder seien von Menschen gesungen worden, denen das Leben schwer gemacht wurde und die auf eine bessere Zukunft hofften.

Gewachsene Lieder, die er und sein kongenialer Partner Thomas Friz mit dem Duo Zupfgeigenhansel 1972 wiederbelebten. Ein Versuch, der von anderen erst sehr skeptisch beurteilt, dann aber mit riesigem Erfolg belohnt wurde. „Wir haben die Lieder mit Offbeat kombiniert“, erklärt Schmeckenbecher. Dadurch entstand Folk-Musik in Deutschland, wie sie in den USA bereits seit den 60er-Jahren populär war. Die Szene war begeistert und diese war in den 70er-Jahren sehr groß. „Volkslieder I“ war das erste Album, das 1976 erschien, fünf weitere folgten. Den größten Erfolg feierte das Duo mit einer Schallplatte mit jiddischen Liedern – obwohl beide mit der jüdischen Kultur nichts zu tun hatten. Doch die Resonanz war wieder enorm. „Wir haben sogar Zuspruch von der jüdischen Gemeinde in New York bekommen“, erinnert sich Erich Schmeckenbecher.

Dem Mann sitzt der Schalk im Nacken und blitzt ihm aus den Augen. Erich Schmeckenbecher ist nicht nur ein begnadeter Musiker – er singt, spielt unter anderem Akkordeon, Gitarre, Mandoline und Mundharmonika – sondern auch ein überaus kritischer Geist. Was dem überzeugten Romantiker - er hat tonnenweise Bücher über Romantik verschlungen - überhaupt nicht passt, ist die Kommerzialisierung des gesamten Lebens. „Pragmanten“ nennt er eindimensionale Materialisten, denen es nur um Kommerz geht, aber nicht ums Wesentliche. „Die haben den Schuss nicht gehört.“ Sein bitteres Fazit zu verlogenen Auswüchsen, die er auch im Kulturbetrieb registriert: „Wahr ist, was nutzt“. Schmeckenbecher setzt mehr auf den Hinter-den-Vorhang-schauen.

Der Musiker, Komponist, Produzent und Texter sieht sich auch als politischen Menschen, „aber nicht parteipolitisch“. Es gebe nichts Besseres als Demokratie. „Aber die muss erarbeitet werden.“ Mehr von „wir bräuchten“ statt „ich will“. Man müsse die Vernunft wieder zur Vernunft bringen. Er trennt nicht zwischen Bühnen- und Privatmensch. Schmeckenbecher ist immer Schmeckenbecher. Ein wohlklingender Künstlername kam daher nicht in Frage.“ Ich bin auf Augenhöhe mit meiner eigenen Identität.“ Gerne bringt er Licht ins Dunkel. „Denn die im Dunkeln mag ich nicht.“ Natürlich sei er ein Weltverbesserer, „das sollten alle sein“.

Er hat die Klezmer-Szene mitangestoßen, sich mit Erich und das Polk der Polka angenommen, sich einen Namen mit Vertonungen von historischen Texten sowie mit Melodien zu Gedichten von Heine, Goethe, Schiller oder Graßhoff gemacht. „Ich habe ein Faible, über die Welt zu philosophieren, nachzudenken.“ Oder zu musizieren - sein künstlerisches Output.

Zum 30-jährigen Bühnenjubiläum 2004 hat er ein großes Fest im Theaterhaus auf die Beine gestellt mit illustren Gästen wie Hannes Wader, Konstantin Wecker, Klaus Lage, Lydie Auvrey und Liederjan. Seinen 60. Geburtstag hat er daher ruhig gefeiert. Zu seinem 70. Geburtstag werden zwei seiner Alben, „Vogel Sehnsucht“ und „Aquarium“, neu veröffentlicht. Außerdem haben sich 50 Musiker aller Genres an dem Projekt „A Tribute To Zupfgeigenhansel“ beteiligt, das ebenfalls zum 31. März erscheint. Darauf werden die bekanntesten Songs des Duos neu interpretiert. Teilweise „stilecht“ „folkig“ teilweise auch von Bands aus ganz anderen Genres: Die Punker von NoRMAhl zum Beispiel haben sich das „Waldfest“ vorgenommen, Die Historocker von Feuerschwanz „Es wollt ein Bauer früh aufstehn“. Ein Song darauf stammt nicht von Erich & Co: „Zupfe Hansel Deine Geige“, getextet vom Publizisten Edi Max komponiert von Fabian Mroz a.k.a Mr Fabulous, der auch bei den großen Zupfgeigenhanse-–Konzerten am 22.und 23. Oktober 2022 in Lorch dabei war. Interpretiert von „Steffi und den Allgäuer Liedermachern“ würdigt das Werk der beiden auf ganz eigene Art.

Erst im vergangenen Jahr war eine Werkausgabe zum 50. Jubiläum von Zupfgeigenhansel veröffentlicht worden, die vom Musikmagazin MusiX als „beste Veröffentlichung des Jahres“ bezeichnet wurde. „Miteinander: 50 Jahre 70 Lieder“ erschien auf drei CDs, unterteilt nach Studioaufnahmen, großen Konzerten und Auftritten in kleinen Clubs. Nach Langspielplatten und CDs läuft die Musik von Zupfgeigenhansel mittlerweile auch im Internet. Innerhalb nur eines Jahres wurde ihr Lied „Ich bin Soldat doch bin ich es nicht gerne“ rund drei Millionen Mal auf Spotify oder Youtube aufgerufen – wahrscheinlich im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine.

Ans Aufhören denkt Erich Schmeckenbecher nicht. Weitere musikalische Projekte stehen bereits an. Und so darf man hoffen, dass man von Erich Schmeckenbecher in Zukunft weiter Neues hört, er keine Ruhe geben wird und sich zu Wort meldet.


                                           Alles Gute Erich Schmeckenbecher.